Der Weg der brieflichen Stimmen

Teil 5 meines Blogs über meine Arbeit als Wahlhelfer im lokalen Abstimmungsausschuss

Der Gemeinderat meiner Wohngemeinde hat mich für die Periode 2022 / 2023 in den Abstimmungsausschuss gewählt. Damit erhalte ich direkten Einblick in die praktischen Abläufe von Wahlen und Abstimmungen in der Schweiz. Diese Abläufe sind in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt. Dies hier ist das Blog zum Thema.

Zur Übersicht über die verschiedenen erschienen Beiträge dieses Blogs.

Nach einer längeren Pause in der auch der eine oder andere Abstimmungstermin ausfiel, nehme ich den Faden dieses Blogs wieder auf und lege dar, wie briefliche Stimmen in unserer Gemeinde behandelt werden.

Abstimmen heisst meist brieflich abstimmen

Da weit über 90% der Stimmberechtigten in der Schweiz brieflich abstimmen, sind ein Teil der Abläufe den Stimmberechtigten gut bekannt. Aber was danach mit den Couverts passiert und wie sie am Sonntag Morgen in die Urnen gelangen, das wissen die Wenigsten. Diese Lücke will ich mit diesem Beitrag schliessen.

Für die Teilnahme an eidgenössische Wahlen und Abstimmungen kennen wir hier im Dorf zwei Kanäle: Die briefliche Stimmabgabe im verschlossenen Couvert und die Stimmabgabe direkt an der Urne im Wahlbüro am Sonntag Morgen.

Bei genauerer Betrachung sind die brieflichen Möglichkeiten etwas differenzierter, denn man kann das verschlossene Couvert der Post zur Zustellung übergeben oder man bringt es direkt zur Gemeindekanzlei, was vor allem rechtlich nicht dasselbe ist. Der Einfachheit halber beschreibe ich diese verschiedenen Optionen gemeinsam; die Stimmabgabe am Sonntag Morgen habe ich bereits in früheren Beiträgen beschrieben.

Ich habe dazu vor einigen Monaten ein Interview mit unserem langjährigen Gemeindeschreiber geführt, aber erst jetzt die Zeit gefunden, das in einen Text zu verarbeiten.

Wir sind eine kleine Gemeinde mit einem ausgeprägten Dorfkern. Für die Mehrheit der Bewohner und Bewohnerinnen ist der Briefkasten der Gemeinde näher als der nächste Briefkasten der Post. Aus diesem Grund werden die meisten brieflichen Stimmen direkt in den Briefkasten der Gemeinde gelegt.

Der Briefkasten ist nicht besonders gesichert und es wäre relativ leicht, Briefe wieder daraus zu entfernen. Man würde dabei aber vermutlich früher oder später erwischt werden, denn der Briefkasten ist aus meheren Richtungen gut einsehbar.

Gemäss unserem Gemeindeschreiber wurde auch schon über ein sichereres Briefkastenmodell diskutiert. Da aber entsprechende Auflagen des Kantons fehlen, wurde eine Entscheidung aus finanziellen Gründen zurückgestellt.

Möglicherweise ist der Briefkasten ein Grund, dass ein substantieller Teil der Stimmen von den Stimmberechtigten während der Öffnungszeiten der Gemeindekanzlei persönlich vorbeigebracht und dem Personal übergeben werden. Ein weiterer Teil der als B-Post vorfrankierten Abstimmungscouverts wird durch die Post eingesammelt und in eine der Briefsortierzentren überführt. Dort werden die Umschläge elektronisch erfasst, sortiert und in den folgenden Tagen der Gemeindekanzlei übermittelt.

Verwahrung der brieflichen Stimmen bis zum Abstimmungswochenende

Die im Lauf eines Tages eingehenden Couverts werden auf der Rückseite mit einem Datumstempel versehen und während des Tages in einem Schrank in den Räumlichkeiten der Kanzlei gesammelt. Abends wird die Zahl der eingegangenen Umschläge auf einer handschriftlichen Liste festgehalten und die Stimmen werden in den grossen Tresor der Gemeinde im Untergeschoss gebracht. Die Kombination des Tresors ist ausschliesslich dem Gemeindepersonal bekannt und er ist genügend gross, um neben all den Akten auch mehrere hundert Abstimmungscouverts aufzunehmen. Das sei nicht in jeder Gemeinde der Fall und die Stimmen würden dann in den Räumlichkeiten der Gemeinde gelagert.

Wenig überraschend gehen in den Tagen nach der Zustellung des Stimmmaterials an die Stimmberechtigten sehr viele Stimmen ein. Dann mehrere Wochen wenig und zum Schluss der Abstimmungsperiode wieder eine Häufung.

Seit die Poststelle in unserem Dorf geschlossen wurde, treffen gemäss unserem Gemeindeschreiber auch etwas mehr Stimmen verspätet ein. Der Posthalter leerte den Briefkasten früher selbst, erkannte das eingehende Stimmmaterial und brachte sie rasch rüber zur Gemeinde. Nun verbringen die Briefe das Abstimmungswochenende bisweilen in den Sortieranlagen der Post. Gehen Stimmen zu spät auf der Gemeinde ein, werden sie separat bis zum Ende der Einsprachefrist gesammelt und dann ungeöffnet vernichtet.

In anderen Gemeinden gibt es noch einen weiteren Rückkanal für die Stimmen: In Thun etwa steht eine versiegelte Wahlurne im Eingangsbereich der Stadtbibliothek. Sie ist angekettet und ich vermute sie wird im Lauf des Monats entweder mehrmals ausgetauscht oder am Abstimmungswochenende vor der Schliessung der Bibliothek am Samstag Nachmittag durch die Gemeinde abgeholt.

Die letzte Leerung des Briefkastens unserer Gemeinde geschieht mit der Öffnung des Stimmbüros am Sonntag Morgen. Wer also die Umschläge für seine Familie nach Öffnung des Abstimmungslokals noch gemeinsam einwerfen will, muss das direkt an der Urne machen. Dort können aber nur noch die persönlichen Stimmen abgegeben werden und die Stimmen des Partners oder der Partnerin werden nicht entgegen genommen, sofern sie nicht selbst anwesend sind. Das sorgt bisweilen für Enttäuschung.

Warum das so gehandhabt wird, ergibt sich aus der rechtlichen Lage. Beim brieflichen Abstimmen erklärt man seinen freien Willen durch die handschriftliche Unterschrift auf dem Stimmrechtsausweis und verschliesst dann den Umschlag. Beim Abstimmen an der Urne erklärt man seinen freien Willen durch die persönliche Abgabe der Stimme in die Urne und eine Unterschrift auf dem Stimmrechtsausweis ist nicht nötig.

Öffnen und Zählen der brieflichen Stimmen

Aber zurück zum Thema: Mit der Öffnung des Stimmlokals beginnt bei uns auch die Öffnung der brieflichen Stimmen. Der Zeitaufwand, der das Öffnen und Kontrollieren mit sich bringt, wird gerne unterschätzt. Zuerst öffnet man den äusseren Umschlag mit dem Stimmrechtsausweis und dem Couvert mit den Stimmzetteln. Dann nimmt man beides heraus. Bei diesem Schritt wird bei uns auch die Unterschrift auf dem Stimmrechtsausweis kontrolliert. Ohne Unterschrift verfällt die Stimme, gäbe es andere Auffälligkeiten wäre es wohl ebenso. Idealerweise müsste der Name auf dem Stimmrechtsausweis auch mit dem Stimmregister abgeglichen werden, wobei das in unserer kleinen Gemeinde kaum nötig ist; man kennt sich. Die Stimmrechtsausweise werden dann separat gesammelt und nicht in die Urne mit den vor Ort abgegebenen Stimmrechtsausweisen gegeben.

In einem getrennten Schritt werden die Stimmcouverts von einer weiteren Person geöffnet und die meist gefalteten Stimmzettel werden entnommen. Da kommt es in seltenen Fällen vor, dass sie beim Öffnen des Umschlages zerschnitten werden. Man klebt sie dann wieder zusammen. Auf jeden Fall werden die Stimmzettel auf der Rückseite mit dem Gemeindestempel des Abstimmungsausschusses der Gemeinde versehen und in die Urnen eingeworfen.

Der Zeitaufwand ist erstaunlich hoch. Das Öffnen der beiden Umschläge, das Entnehmen des Materials und seine Kontrolle, das trennen in eidgenössische und kantonale oder sogar lokale Vorlagen, das Stempeln und das Einwerfen in die Urne dauert alles zusammen zwischen einer halben und einer ganzen Minute. Wir sind jeweils zu viert und teilen uns die Arbeit auf. So schaffen wir die 200 bis 400 brieflichen Stimmen jeweils bis die Urnen um 11 Uhr geschlossen werden.

In grösseren Gemeinden braucht es mehr Wahlhelfer und Wahlhelferinnen, oder man beginnt früher mit dem Öffnen. Je nach Zahl der Stimmberechtigten in einem Wahlkreis auch schon am Vortag. Der Kanton sieht dafür verschiedene Limiten vor und erlaubt dies den grossen Gemeinden.

Wenn die Umschläge bereits am Vortag geöffnet und die Stimmrechtsausweise von den anonymen Stimmen getrennt werden, dann bringt das ein erhebliches Sicherheitsproblem mit sich. Konkret wäre es möglich, die Stimmzettel über Nacht zu ersetzen. Achtet man darauf, die totale Anzahl nicht zu verändern, dann kann so eine Manipulation später kaum noch erruiert werden. Dies ist umso einfacher zu machen, als zusätzliche Stimmzettel eigentlich immer verfügbar sind. Mit den Stimmrechtsausweisen verhält es sich etwas anders, aber der Rest des Stimmmaterials ist auf einer Gemeindekanzlei immer mit ansehnlichen Reserven verfügbar. Die sichere Verwahrung der von den Stimmrechtsausweisen getrennten Stimmen über Nacht scheint also sehr, sehr wichtig zu sein.

Bei uns im Dorf ist das aber alles kein Thema. Die verschlossenen Umschläge warten im Tresor auf den Abstimmungssonntag und werden dann im Büro gemeinsam geöffnet. Dass hier etwas ausgetauscht werden könnte scheint schwer vorstellbar.