Das Auszählen der kantonalen Wahlen

Teil 4 meines Blogs über meine Arbeit als Wahlhelfer im lokalen Abstimmungsausschuss

Der Gemeinderat meiner Wohngemeinde hat mich für die Periode 2022 / 2023 in den Abstimmungsausschuss gewählt. Damit erhalte ich direkten Einblick in die praktischen Abläufe von Wahlen und Abstimmungen in der Schweiz. Diese Abläufe sind in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt. Dies hier ist das Blog zum Thema.

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Ende März fanden im Kanton Bern Regierungs- und Grossratswahlen statt. Unser Abstimmungsausschuss kam bei der Stimmabgabe zum zweiten Mal zum Einsatz. Für die Auszählung waren aber eine separate Gruppe von langjährigen Freiwilligen zuständig. Eine Kollegin aus dem Abstimmungsausschuss und ich hatten uns vorgängig gemeldet, um diese Gruppe verstärken und beim Auszählen mit dabei sein zu können. Ich beschreibe hier, wie das ablief.

 

Die Einrichtung

Die Abgabe der Wahlzettel ist analog zu einer Abstimmung organisiert. Da im Lauf des Monats aber die Corona-Massnahmen ausser Kraft gesetzt worden waren, standen unsere drei Urnen nicht mehr in der grossen Turnhalle, sondern auf der separaten Bühne, die von der Turnhalle durch eine mobile Holzwand getrennt ist. So ist das hier im Dorf ausserhalb von Pandemie-Zeiten üblich.

Während oben eine kleine Zahl von Stimmberechtigten ihre Wahlzettel abgaben, startete in der Halle selbst das Öffnen brieflichen Stimmen. Diese wurden in Bündeln nach und nach über die kurze Treppe auf die Bühne gebracht, wo wir sie stempelten und in die Urne warfen.

Das Auszählen der Wahl des Regierungsrates

Um elf Uhr schloss das Wahlbüro und die Auszählung konnte beginnen. In der ersten Urne lag die kleine Zahl der Stimmrechtsausweise für die vor Ort abgegeben Wahlzettel. Dann eine Urne für die Kantonsratswahlen und eine Urne für die Regierungsratswahlen.

Zunächst wandten wir uns dem Regierungsrat zu. Wir arbeiteten dazu an fünf Tischen in Zweierteams. Ich setzte mich dazu zusammen mit meiner Kollegin aus dem Abstimmungsausschuss. Die anderen setzten sich auch so zusammen, wie es sich gerade ergab.

Zunächst bildeten wir fünf Bündel à 50 Wahlzettel. Originellerweise ging das genau auf, denn es waren genau 250 Wahlzettel eingegangen und wir konnten mit dem Auszählen beginnen. In einem ersten Durchgang kontrollierten wir den Stempel, der beim Einwerfen in die Urne angebracht worden war und wir nummerierten die Wahlzettel im selben Durchgang von Hand. Das bedeutet ab diesem Moment war jeder Wahlzettel eindeutig identifiziert, also zum Beispiel 3. Bündel, 17. Zettel.

Dann übertrugen wir die 50 Wahlzettel eines Bündels auf jeweils eine grosse A3-Tabelle, die für den Wahlgang vorbereitet worden war. Die Tabelle trug in der Vertikalen die Kandidaten und horizontal für jeden der 50 Wahlzettel eine Spalte. Ein Parameter im Kanton Bern ist die Regelung, dass nur registrierte Kandidaten gewählt werden können. Das macht es etwas leichter, mit einer vorbereiteten Tabelle zu arbeiten. In anderen Kantonen sind beliebige Personen wählbar, man muss also einige Zeilen leer lassen.

Gemeinsam füllten wir von links nach rechts nacheinander die Tabelle indem einer Person den Zettel vorlas und die andere Person am richtigen Ort den Eintrag vornahm. Leere und ungültige Stimmen haben wir dabei unter den Kandidaten in eigens dafür vorgesehenen Zeilen vermerkt. Wichtig ist natürlich, dass die vorlesende Person genau kontrolliert, dass der Eintrag stimmt. Denn die 50 Wahlzettel werden nicht auch noch durch einen zweites Zweierteam kontrolliert. Anders als bei Abstimmungen bleiben sie immer auf demselben Tisch, an dem aber nun zwei Personen sitzen. Gemeinsam mit meiner Kollegin hatte ich also die Hoheit über diese 50 Wahlzettel. Ausser bei einer Nachzählung würde niemand anders sie mehr durchsehen.

Nach der Übertragung aller Wahlzettel folgte eine ersten Kontrolle. Die einzelnen Stimmen pro Wahlzettel müssen dabei in der Kontrollrechnung von oben nach unten sieben ergeben. Wir haben das so überprüft, dass wir mit einem Lineal von links nach rechts Spalte für Spalte durchgegangen sind und zu zweit rasch nachgezählt haben ob wir richtig sieben Stimmen pro Wahlzettel eingetragen hatten. Also 7 Kandidatenstimmen oder einzelne leere und ungültige.

Danach haben wir die einzelnen Kandidatenstimmen horizontal aufsummiert. Das haben wir wieder durch das Lineal unterstützt und so lange gezählt bis wir beide pro Zeile auf dieselbe Anzahl Stimmen gekommen sind und uns einig waren, dass das Resultat stimmte.

Zum Abschluss führten wir die Kontrollrechnung durch: Die Summe der aufsummierten Kandidatenstimmen zuzüglich der ungültigen und leeren Stimmen musste bei uns 50 * 7 ergeben. An unserem Tisch ging diese Rechnung auf Anhieb auf. Wir hatten also keinen Fehler gemacht.

Wir meldeten uns mit unserer Zähltabelle dann beim Gemeindeschreiber, der die Resultate, also die Kandidatenstimmen sowie die ungültigen und die leeren Stimmen, in eine Excel Tabelle übertrug. Die entsprechende Vorlage wurde von der Berner Staatskanzlei zur Verfügung gestellt. Beim Übertrag schauten wir ihm über die Schulter, den späteren Ausdruck des Zusammenzuges überprüften wir dann aber nicht mehr weiter.

Nachdem alle fünf Bündel an den fünf Tischen ausgezählt waren, wurden sie alle in das Excel übertragen, dann auf ein gemeinsames Resultatblatt ausgedruckt und dieses Resultat wie bei den Abstimmungen mittels der Berner Software BEWAS an den Kanton übermittelt. Für die Regierungsratswahlen gab es dazu ein eigenes Formular, in das man die Zahlen vom ausgedruckten XLS übertragen konnte.

Damit war die Auszählung der Regierungsratswahlen für uns abgeschlossen.

Das Auszählen der Wahl des Kantonsrates am Zähltisch

Damit zum Pièce de Résistance, dem Auszählen der Grossratswahlen. Parlamentswahlen sind in der Schweiz sehr schwierig auszuzählen, da die Wähler und Wählerinnen grosse Freiheiten geniessen und die Listen von Hand verändern können. Konkret ist das sogenannte Kumulieren erlaubt. Das heisst, man darf einzelne Kandidaten zwei Mal auf einem Wahlzettel aufführen. Zum Teil ist dies auf den Listen der Parteien bereits so vorgesehen. Oder aber man muss erst Platz für die Doppelnennung schaffen, indem man einen Kandidaten oder eine Kandidatin streicht.

Ferner ist auch das Panaschieren erlaubt. Das bedeutet, dass man einen Kandidaten oder eine Kandidatin von einer anderen Wahlliste des Wahlkreises übernimmt und von Hand einträgt. Auch dazu muss man in aller Regeln jemanden streichen, es sei denn die Wahlliste habe einen oder mehere Plätze nicht besetzt.

Und schiesslich ist es auch möglich, einen Wahlzettel auf Basis einer leeren Liste freihändig zusammenzustellen.

Alle diese Möglichkeiten führen dazu, dass relativ viele ungültige Stimmen eingehen und dass das Auszählen sehr anspruchsvoll ist.

Kandidaten und Kandidatinnen werden über einen vierstelligen Zahlencode identifiziert. Bei einem Widerspruch zwischen Zahlencode und Name des Kandidaten zählt der Name. Fehlt der Name, so wird der Eintrag ungültig. Bei veränderten Wahllisten wird in diesem Fall die Stimme der Wahlliste zugeschlagen. Bei komplett selbst auf Basis einer leeren Liste ausgefüllten Listen verfällt die Stimme, falls sie ungültig ist.

Aber wie wird das nun konkret gezählt? Zu zweit natürlich. Zunächst wird grob kategorisiert. Das heisst die Wahlzettel werden nach Listen aufgeteilt und pro Liste in unveränderte und in veränderte Listen: Das ergibt also pro Liste zwei Bündel sowie ein weiteres Bündel für diejenigen Wahlzettel, die auf Basis einer leeren Liste ausgefüllt wurden. Diese verschiedenen Bündel wurden in je einen vorbereiteten Umschlag abgelegt. Nach und nach brachte der Gemeindeschreiber die Umschläge dann zu den fünf Auszähltischen und wies sie uns zur Auszähung zu.

Auf unserem Tisch zählten wir drei Bündel aus, die Stimmen für drei verschiedene von Hand veränderte Listen.

In einem ersten Durchlauf kontrollierten wir mehrere Eigenschaften der Wahlzettel:

Für die Kontrolle der von Hand eingetragenen Kandidaten und Kandidatinnen lagen zwei Register bereit: Eines nach Liste sortiert (also nach der fünfstelligen Laufnummer der Kandidaten) und eines nach dem Namen. Mit diesen Hilfsmitteln ging das recht flott.

Ebenfalls bei diesem Arbeitsschritt nummerierten wir wie bei der Regierungsratswahl die Wahlzettel von Hand, um sie eindeutig identifizieren zu können.

War dies abgeschlossen, füllten wir einen Laufzettel aus, der das Bündel respektive den Umschlag mit dem Bündel darin identifizierte. Darauf wurde die folgende Information zu den veränderten Wahlzetteln festgehalten:

Damit war die Anzahl der Stimmen klar, die wir darauf an in einem zweiten Arbeitsschritt erfassten. Dieser zweite Arbeitsschritt fand am PC statt.

Das Erfassen der Wahlzettel am PC

Es ist heute üblich bei Listenwahlen die veränderten Stimmzettel am PC zu erfassen. Bei uns im Dorf, das habe ich nun gelernt, kommt hierfür die Software SESAM zum Einsatz. Die Software SESAM ist ein Schweizer Fabrikat der Sesam AG aus Uster und kommt in vielen Kantonen bei Proporzwahlen zum Einsatz. Bei uns war die Version 73.0 vom 29.7.2021 als dezentrale Mehrplatzinstallation mit lokaler Datenbank vorbereitet. Bei der Datenbank, in der die Wahlzettel abgelegt wurden, handelte es sich um OpenText SQLBase 12.2.1. Diese Datenbank war - dezentral eben - an jedem Arbeitsplatz separat installiert.

Wer sich für Sesam interessiert findet auf der Webseite der Firma sehr viele Unterlagen. Von der Installation, zur Wahlvorbereitung, Anleitungen zur Organisation des Wahlbüros, Vorlagen für Umschlagbeschriftung, Kursunterlangen bis zum Handbuch Majorzwahlen mit 83 Seiten: Es mangelt wirklich nicht an detaillierter Dokumentation. Da wir Freiwilligen aber den Kurs nicht besucht hatten, genossen wir nur eine Kurzeinführung und begannen dann mit dem Erfassen der Wahllisten.

Wobei, zunächste wurde von der Software noch das Erstellen eines Accounts verlangt. Es ist dabei offenbar üblich mit den Initialen zu arbeiten und diese auch als Passwort zu verwenden.

Die Eingabe der Wahlzettel lief dann sehr komfortabel. Die Software führt einen gut und hilft mit, dass man bei der Eingabe möglichst keine Fehler macht. Ohnehin arbeitet man ja zu zweit, so dass jemand vorlesen und jemand eintippen kann.

Der genaue Ablauf der Eingabe hier nur kursorisch: Eingabe der Nummer des Umschlags. Dann Nummer des Wahlzettels, dann die einzelnen Stimmen des Wahlzettels. Einfache Tastatur-Kürzel helfen dabei, unveränderte Kandidaten von der Liste übernehmen zu können, kummulierte kann man mittels “+” verdoppeln und mit der Eingabe 513 panaschiert man den Kandidaten oder die Kandidatin 13 der Wahlliste 5.

Zum Schluss gibt man dann pro Wahlzettel die Zahl der allenfalls leeren Stimmen des Wahlzettels ein. In unserem Wahlkreis waren pro Wahlzettel 20 Stimmen zu erfassen. Die Software kontrolliert natürlich auch diese Zahl.

Wir haben dann jeden Wahlzettel nochmals kontrolliert, indem wir von oben nach unten alle Namen am Bildschirm nacheinander vorlasen und mit dem Wahlzettel verglichen.

Übrigens entdeckte das System auch eine ungültige Stimme, die uns bei der ersten Kontrolle durch die Lappen gegangen war. Eine Liste trug einen Kandidaten doppelt, aber nicht beieinander, sondern je einmal pro Spalte. Von Hand hatte ein Stimmberechtigter oder eine Stimmberechtigte den Namen dann noch ein drittes Mal hinzukumuliert. Wir haben das übersehen; die Software machte uns aber auf den Fehler aufmerksam und wir konnten das bei der Eingabe korrigieren.

Nachdem man die Zettel eines Umschlags erfasst hat, wird ein Journal ausgedruckt. Dieses listet jeden Wahlzettel einzeln auf einer Doppelzeile auf. Dazu werden die Zahl der Kandidatenstimmen sowie die Zahl der leeren und ungültigen Stimmen ausgewiesen. Und dann sämtliche Nummern der Kandidaten mit ihren vier Ziffern, der Login-Kürzel des Erfassers oder der Erfasserin sowie der Zeitpunkt an dem der einzelne Wahlzettel erfasst wurde.

Es wäre sinnvoll, dieses Journal mit den Wahlzetteln zu vergleichen, oder zumindest ein paar Stichproben zu machen. Das haben wir aber unterlassen und stattdessen der Software vertraut.

Der elektronische Zusammenzug der Ergebnisse und die Übertragung an den Kanton

Nachdem wir unsere drei Umschläge erfasst hatten, waren auch die anderen Teams weitgehend fertig. Danach kam der Zusammenzug der Daten von den einzelnen Arbeitsplätzen zum Stamm-PC. Dieser Schritt ist nötig, um die ausgezählten Zahlen aus den einzelnen Sesam-Arbeitsplatzsystemen zu konsolidieren und sie danach an das Berner BEWAS weiterzureichen.

Der Zusammenzug geschah dabei physikalisch mit je einem frischen USB Stick pro Arbeitsplatz. Auf dem Stamm-PC wurden die Daten der USB Sticks dann in SESAM importiert. Dies quittierte SESAM mit der Zahl der importieren Umschläge und der Anzahl Wahlzettel pro Umschlag.

Leider gab es beim Import mehrere Probleme. In zwei Umschlägen musste je ein Wahlzettel nacherfasst werden, weil er ursprünglich auf dem Stapel der frei erfassten Wahllisten gelandet war. Beim Eingeben der Wahlzettel wurde aber festgestellt, dass auf den Listen oben der Name einer Partei, also die Listenbezeichnung, von Hand eingetragen worden war. Diese nacherfassten Wahlzettel machten nun beim Übertrag Probleme, denn sie verdrängten die ursprünglich erfassten Wahlzettel im Export, was man an der Zusammenfassung des Imports ersehen konnte. Unser Gemeindeschreiber versuchte es zwei, drei Mal neu, musste dann aber trotzdem auf den Telefon-Support zurückgreifen.

Bei einem der Umschläge liess sich das Malheur beheben, die Wahlzettel des anderen mussten neu erfasst werden.

Alles gab einen Moment lang ein gewisses Hin- und Her, aber die Vorgänge und die am Bildschirm sichtbaren Zahlen machten für mich in jedem Moment Sinn.

Als endlich alle Wahlzettel im zentralen SESAM System erfolgreich konsolidiert waren, wurde ein ausführliches SESAM Protokoll ausgedruckt. Der Gemeindeschreiber exportierte danach die SESAM Daten in ein lokales Verzeichnis und importierte sie danach ins BEWAS. Das heisst der SESAM Stamm-PC war auch derjenige PC, mit dem BEWAS bedient wurde. Und offensichtlich schreibt SESAM in einem BEWAS-kompatiblen Format. Die einzelnen Wahlzettel waren in BEWAS dann nicht mehr einsehbar. BEWAS zeigt nur noch die totale Anzahl der Stimmen. Wir mussten dem Export also vertrauen, hätten die Zahlen aber selbstverständlich nach der Publikation des Endergebnisses mit unseren eigenen Protokollen vergleichen können.

Nach dieser Übertragung der Stimmen mussten nur noch einzelne Kontrolldaten - Anzahl Wahlzettel, etc. - erfasst werden und unsere Arbeit kam mit der Übertragung der Ergebnisse an die Staatskanzlei zum Abschluss.

Im Gegensatz zu einem normalen Abstimmungssonntag sind Wahlen also deutlich anspruchsvoller und bringen auch deutlich mehr Arbeit. Ich glaube wir waren um circa 15 Uhr fertig. Entsprechend der längeren Dauer der Auszählens war die kulinarische Versorgung auch ausgesprochen reichhaltig und die Gemeinde lud uns Wahlhelfer und Wahlhelferinnen danach auch noch zum Abendessen ein. Es war ein gemütlicher Abend.